Ein Wolf im Wienerwald
Ortsbezeichnungen, wie „Wolfsgraben“ und „Wolf in der Au“ sind uns im Wienerwald geläufig. Doch wenn dann mal wirklich ein Wolf vorbeischaut, ist das Aufsehen natürlich groß, zu Recht?
Seit letztem Herbst hört man in Medien, dass nach 2018 wieder ein Wolf im Wienerwald herumstreift! Auch seitens der zuständigen Behörden wurden Schreiben an die Gemeinden in Niederösterreich ausgeschickt, wie man sich bei einem Auftreten eines Wolfes verhalten soll. Einzelne Gemeinden haben die wesentlichsten Infos für den Fall eines Aufeinandertreffens von Mensch und Wolf auch auf ihren Websites zusammengefasst; Andere wiederum haben sogar seit längerem umfassendere Infos zu diesem Tier in Form eines Leitfadens gepostet!
Ist die Rückkehr dieser Art in unsere unmittelbare Wohnumgebung ein Problem und sind die Ängste berechtigt? Hat der Wolf im Biosphärenpark Wienerwald überhaupt Platz oder braucht der Wolf „Wildnis“, die hier im Umland von Wien scheinbar nicht mehr vorkommt? Das möchte ich hier kurz mit ein paar Fakten sowie persönliche Einschätzungen zusammenfassen.
Wenn Ihr dazu noch Fragen, Anregungen habt, schreibt mir gerne per Mail oder ein Kommentar auf diesen Blog, ich freue mich über Rückmeldungen!
Aktueller Status zum Wolf in Österreich
Im Jahr 2023 wurden laut Österreichzentrum Bär-Wolf-Luchs (in Folge „Österreichzentrum“) in sieben Bundesländern (außer Burgenland und Wien) insgesamt 104 Individuen nachgewiesen. Von den sechs reproduzierenden Rudeln waren vier davon zumindest teilweise auch in Niederösterreich.
Die ursprüngliche Herkunft der Individuen teilt sich auf Quellpopulationen in den Alpen, im mitteleuropäischen Tiefland oder in den Dinariden auf. Der im Wienerwald aufgetauchte Wolf scheint aus der alpinen Quellpopulation zu stammen. Wölfe sind Weitwanderer und im Bericht des Österreichzentrums zu den Ergebnissen aus 2023 wurden weite Wanderungen zweier Tiere aus dem Rudel Allentsteig in benachbarte Staaten, wie Tschechien und Polen beschrieben.
Abbildung 1: Verbreitungskarte der nachgewiesenen Wölfe in Österreich im Jahr 2024.
Wie viele Individuen und reproduzierende Rudel im Jahr 2024 in Österreich nachgewiesen wurden, ist aus den Informationen des Österreichzentrums noch nicht endgültig ablesbar. Es ist jedoch aufgrund der vorhandenen Unterlagen davon auszugehen, dass die reproduzierenden Rudel wieder abgenommen haben: Mit Stand 17. Dezember 2024 wurden nur drei reproduzierende Rudel auf den Karten des Österreichzentrums angegeben.
Abbildung 2: Wolfsnachweise in Österreich 2023.
Nutztier-Schäden durch den Wolf
Auch wenn der Riss jedes einzelnen Nutztieres für Tierhalter:innen verständlicherweise eine schlimme und sehr belastende Situation darstellt, ist zu sagen, dass Wölfe sich im Normalfall mit über 90 Prozent von sogenanntem Schalenwild (zum Beispiel Rehe, Hirsche, Wildschweine) und sich nur in geringem Umfang von Nutztieren ernähren. Werden Nutztiere nicht geschützt, so stellen sie jedenfalls leichte Beute ohne großen notwendigen Energieaufwand für den Wolf dar, wodurch sich im Einzelfall der Anteil an Nutztierrissen natürlich erhöhen kann.
Für das Jahr 2024 sind auf den Seiten des Österreichzentrums noch keine abschließenden Angaben für Gesamtösterreich verfügbar. Die vorhandenen Daten bis Oktober 2024 weisen jedoch darauf hin, dass auch die Schäden durch Große Beutegreifer (Bär, Wolf, Luchs und Goldschakal) im Vergleich zu 2023 deutlich zurückgegangen sind. Laut Jahresbericht 2023 haben sich auch schon die Nutztierverluste vom Jahr 2022 auf 2023 um rund 37 Prozent verringert!
Negativ anzumerken ist, dass bei den nationalen Zahlen zu den Schäden leider noch immer nicht angegeben ist, wie hoch der Anteil an tatsächlich fachgerecht geschützten Nutztieren (zum Beispiel durch Schutzzäune oder Pferche, Herdenschutzhunde und Behirtung) am Gesamtschaden ausmachen.
Konkrete Zahlen für das Jahr 2024 gibt es bereits für das Bundesland Tirol, wo ein Großteil der gealpten Schafe österreichweit gehalten wird.
In den unterhalb dargestellten Zahlen sieht man, dass der durch die aktuelle Almwirtschaft jährlich in Kauf genommene Verlust durch “natürlichen Abgang” von Nutztieren aufgrund von Absturz, Blitzschlag und Krankheiten zwischen drei und fünf Prozent des Gesamtbestandes an gealpten Nutztieren ausmacht.
Abbildung 3: Übersicht über alle im Jahr 2024 gealpten Schafe und die jeweiligen Anteile an Todesursachen (Quelle: https://tirol.orf.at/stories/3275311/).
Die im Jahr 2024 in Tirol festgestellten Nutztier-Schäden (also nicht nur Schafe) durch große Beutegreifer (also nicht nur Wölfen) betragen dagegen nur rund zwei Promille der gealpten Schafbestände und maximal sechs Prozent von den ohnehin in Kauf genommenen “natürlichen Abgängen”.
Pilotprojekte der gezielten Herdeführung in Tirol zeigen, dass ein fachgerechter Herdenschutz auch auf Almen das Risiko für Übergriffe durch Wildtiere minimieren kann. Derzeit sind in den Pilotregionen keine Risse trotz fachlich korrektem Herdenschutz und Vorkommen des Wolfes bekannt. Eine dementsprechend intensivere Betreuung der Nutztiere auf den Almen würde aber auch bedeuten, dass die bisherigen “Natürlichen Abgänge” deutlich reduziert werden könnten und sich damit der bisherige Verlust an Nutztieren deutlich minimieren lässt. Somit wäre das eine für Tierhalter und Natur sinnvolle Lösung, die in vielen anderen Ländern seit Jahrzehnten praktiziert wird.
Tabelle 1: Zahlen zu den im Jahr 2024 gealpten Schafe und die jeweiligen Anteile an Todesursachen (Quelle: https://tirol.orf.at/stories/3275311/).
Weiters ist noch zu betonen, dass etablierte Rudel aufgrund ihrer sozialen Struktur und ihrem Verhalten, in dem sie ihre Erfahrung mit funktionierendem Herdenschutz an ihre Nachkommen weitergeben, vielfach weniger Schäden an Nutztieren bedeuten als rein durchziehende Einzelwölfe, die weder die Region noch den Herdenschutz vor Ort kennen und um zu überleben auf „leichte Beute“ angewiesen sind.
Ist der Wolf gefährlich für uns Menschen?
Jedem Tier, egal ob Nutztier, Haustier oder Wildtier sollte man mit entsprechendem Respekt begegnen: Man weiß nie, ob und wann sich ein Tier in die Enge getrieben fühlt, krank ist oder durch menschliche Aktivitäten geprägt wurde und damit ein unnatürliches Verhalten zeigt.
Was den Wolf betrifft, so wird von Expert:innen festgehalten, dass in der Regel keine Gefahr für den Menschen ausgeht. Wölfe sind grundsätzlich scheue Wesen, die eher die menschliche Nähe meiden und in deren Beutespektrum wir auch nicht passen. Weltweite Ergebnisse aus den letzten Jahrhunderten zeigen, dass einzelne Vorfälle im Wesentlichen aufgrund von Krankheiten (zum Beispiel Tollwut), mangelnder Nahrungsverfügbarkeit an Wildtieren oder menschlichem Fehlverhalten (Anfüttern) resultieren. Laut einer aktuellen Studie der Europäischen Kommission wurde in ganz Europa in den letzten vier Jahrzehnten kein einziger tödlicher Übergriff von Wölfen auf Menschen festgestellt. Vergleicht man diese Zahlen mit anderen Gefährdungen der menschlichen Gesundheit (zum Beispiel durch Luftverschmutzung, Verkehrsunfälle, Alpinunfälle, etc.) und des menschlichen Lebens, so ist dieses Risiko bei entsprechendem Verhalten vernachlässigbar!
Diese und ähnliche Studien zeigen auch, dass der Wolf wenig Ansprüche auf seinen Lebensraum hat, solange er genug Futterquellen und Rückzugsraum zur Aufzucht seiner Jungen hat. Das bedeutet auch, dass Wolfsvorkommen in der Nähe von Großstädten, wie zum Beispiel Rom oder Bologna, durchaus üblich ist.
Wozu brauchen wir den Wolf?
Der Wolf ist ein Beispiel für eine Tierart, die an der Spitze der Nahrungskette (ein sogenannter „Spitzen-Prädator“) steht und daher auch diese durch sein Vorkommen mit beeinflusst: Wenn möglich, jagt er zum Beispiel vorwiegend alte und kranke Tiere, da er dabei am wenigsten Energie verbraucht. Dadurch trägt er auch dazu bei, dass Wildtierbestände gesund bleiben und sich Krankheiten weniger ausbreiten; Innerhalb der jeweiligen Art aber auch auf andere Wild- und Nutztierarten (zum Beispiel die Afrikanische Schweinepest) oder im schlimmsten Fall auf den Menschen (zum Beispiel Tuberkulose). Daher wird dem Wolf, ähnlich wie Fischottern oder Haien, häufig die Funktion einer „Gesundheitspolizei“ zugeschrieben.
Da sich ganze Bestände von Beutetieren in Zusammensetzung und Verhalten ändern können, geht man auch davon aus, dass das Vorkommen von Wölfen auch Auswirkungen auf den Zustand von Lebensräumen haben kann. Wie stark dieser Beitrag jedoch ist, ist noch immer Gegenstand heftiger Diskussionen innerhalb der Wissenschaft.
Eine Vielzahl an Auswirkungen durch das Vorkommen von Wolf und Co. ist in dieser Grafik schön zusammengefasst!
Was bedeutet das für den Wienerwald?
Nachdem der Biosphärenpark Wienerwald eine Modellregion für Nachhaltige Entwicklung darstellt und zumindest die aktuellen Kernzonen mit einer Ausdehnung von rund 5.400 Hektar (in denen dem Prozess- und Naturschutz der Vorrang gegenüber anderen Nutzungen gegeben wird) als mögliche Rückzugsgebiete für die Aufzucht der Jungen dienen könnten, scheint der Lebensraum für diese relativ anspruchslose Art durchaus gegeben!
Nichtsdestotrotz sind die Sorgen und Ängste der Bevölkerung und der Landnutzer:innen ernst zu nehmen! Es braucht mehr seriöse Information, Kommunikation auf Augenhöhe und ausreichende Unterstützung (fachlich, personell und finanziell) zur Verhinderung allfälliger Schäden (Herdenschutz, etc.) oder deren Kompensation. Entsprechende Maßnahmen sollten auch immer mit den Betroffenen Menschen vor Ort entwickelt und umgesetzt werden, um das Wissen und die Notwendigkeiten der Landnutzer bestmöglich zu berücksichtigen. Aus anderen Ländern und Regionen gibt es eine Vielzahl an erfolgreichen Beispielen der Koexistenz von Mensch und Wolf, auf denen man aufbauen und auf die konkreten Notwendigkeiten angepasst werden könnten.
Wo finde ich weitere Informationen?
Österreichzentrum: Österreichweite Infos zum Bär, Wolf, Luchs in Österreich
Amt der NÖ Landesregierung: Informationen zum NÖ Wolfsmanagement
WWF Österreich: Leitfaden zum Umgang mit dem Wolf für verschiedene Bevölkerungsgruppen
EuroLargeCarnivores: Videos aus einem EU-Projekt zur Koexistenz von Mensch und Großen Beutegreifern